Voller Erwartungen, übersprudelnder Nervosität und mit meinem Buch unterm Arm betrat ich die für den Wettbewerb ausgestattete Aula. Sofort zog mich die Bühne in ihren Bann: Sie war voller verschiedener Bücher, einige lagen kreuz und quer auf einem Pult gestapelt, andere wiederum lagen verstreut auf dem Boden der Bühne. Vor dem Pult stand ein einzelner, einsamer Stuhl, der sehnsüchtig auf die Vorlesenden wartete. Doch was mir einen kräftigen Sprung im Herzen verlieh, war das Mikrofon, welches mitten auf dem Tisch stand. Ich spürte einen riesigen Kloss in meinem Hals. Ich schluckte ihn runter. Da lag er nun, wie ein Stein in meinem Magen. Immer noch mein Buch fest umklammert, kauerte ich mich auf meinen Platz. Ich traute mich, einen Blick zum Komitee zu riskieren. Schnell studierte ich ihre Gesichter und musste feststellen, dass ich überhaupt keine Angst haben musste, so freundlich, wie sie strahlten. Die Jury bestand aus vier Lehrerinnen und Lehrern, zwei älteren Schülern und der Siegerin des Vorjahreswettbewerbs. Bei zehn Kandidaten war ich mit meinem Buch als achte dran.
Plötzlich ertönte eine laute Stimme, alles wurde mucksmäuschenstill, ausser mein Herz, das so laut pochte , dass ich mir sicher war, dass es jeder im Raum hörte. Der Ablauf des Wettbewerbs wurde erklärt und dann ging es auch schon los. Die erste Kandidatin betrat die Bühne und präsentierte ihr Buch. Gebannt hing das Publikum auch an den Lippen der darauffolgenden Kandidaten. Die Vorleserinnen und Vorleser präsentierten uns Auszüge aus einer Vielfalt von Büchern. Von Comedy, Krimi bis hin zu grossen Abenteuern wurde alles geboten. Alle im Publikum stimmten im Anschluss ans Vorlesen mit roten, gelben und grünen Zetteln über die Darbietung ab. Der Applaus war jeweils ohrenbetäubend. Diesmal aber war meine Klasse die lauteste, da mein Name aufgerufen wurde. Die Pfiffe und Wortfetzen meiner Mitschülerinnen und Mitschüler begleiteten mich auf die Bühne. Ich plumpste etwas unbeholfen auf den Stuhl vor dem Pult und sass vor den blendenden Scheinwerfern. Mich durchzog eine Gänsehaut und eine gewisse Vorfreude überraschte mich.
Ich liebe Bücher. Anders als bei Filmen, wo jede Figur ein Gesicht hat, kann man sich in Büchern die Figuren, Gärten, Häuser selbst zusammenstellen nach seinen eigenen Vorstellungen. Auch diesmal war auf mein Buch Verlass. Nachdem ich anfing zu lesen, tauchte ich in diesen leider viel zu kurzen Auszug ein. Viel zu schnell verklangen meine letzten Worte im Raum. Der Auszug aus «Herr der Diebe» von Cornelia Funke war vorgelesen. Zu meiner grossen Freude erklang auch bei mir Applaus aus dem Publikum und ich grinste übers ganze Gesicht. Vor mir erschien ein Meer aus roter, gelber und grüner Farbe. Ich bedankte mich und huschte schnell an meinen Platz zurück.
Die Freude war unermesslich gross, als ich meinen Namen hörte: Ich hatte es ins Finale geschafft! Wir drei Finalisten zogen einen Umschlag mit einem fremden Text und der jeweiligen Startnummer. Diesmal sollte ich als erste vorlesen. Mit tobendem Herzen betrat ich noch einmal die Bühne. Meine Augen überflogen den Text und ich musste schmunzeln, als ich den Titel las: “Als Großmutter das Internet kaputt gemacht hat“. Der Text war sehr amüsant und es machte Spass, ihn zu lesen. Auch diesmal wurde geklatscht und sogar gepfiffen. Glücklich begab ich mich zurück an meinen Platz und genoss die beiden darauffolgenden Finalisten, die wunderbar und gekonnt vorlasen.
Bei der Verkündigung des Siegers hielten meine Freunde meine Hand fest umklammert und es brach ein Sturm des Jubels aus, als ich und meine Klasse zur Siegerin gekürt wurden. In diesem Moment war ich überglücklich und stolz. Überglücklich und stolz darüber, so tolle echte Freunde gefunden zu haben, die sich gemeinsam mit mir über diesen Sieg freuen.
Mia-Ava, G1b